Österreich ist leider keine Ausnahme. Die aktuelle Rote Liste der bedrohten Arten für Österreich besagt, dass 36 Prozent der Brutvögel, 37 Prozent der Säugetiere sowie 60 Prozent der Amphibien, Reptilien und Fische vom Aussterben bedroht sind.
Von den 37.600 Insektenarten, die in Österreich heimisch sind, gelten 14.000 als gefährdet. Diese Zahlen machen deutlich, dass wir mitten in einer Biodiversitätskrise stecken, die durch den Klimawandel noch verschärft wird.
Das zeigen Maria Schmidt und ihr Mann Harald Stoiber mit ihrem Naturschutzhof Going Artenreich am Wilden Kaiser eindrucksvoll vor. Mittlerweile kreucht und fleucht es dort wieder, Wildbienen laben sich am Nektar von Wiesenblumen, seltene Schmetterlingsarten wie der Argus-Bläuling tanzen über das Grundstück. Schafe, Hühner und Wachteln dürfen sich frei im Laufstall und auf der Weide bewegen.
Aber der Weg dorthin war mit viel Engagement und Handarbeit verbunden. Bevor Maria Schmidt den Hof von ihrer Großmutter übernahm, wurden die Wiesen so wie es in der herkömmlichen Grünlandbewirtschaftung üblich ist mehrmals im Jahr gedüngt und gemäht. „Mit diesem Überangebot an Nährstoffen kommen nur wenige Pflanzenarten wie der gelb blühende Löwenzahn und der Hahnenfuß zurecht. Die Folge: Bunt blühende und artenreiche Blumenwiesen kennen viele nur mehr von früher, junge Generationen gar nicht mehr“, erklärt Maria Schmidt. Schmetterlinge, Wildbienen und viele andere Insekten und Vögel verlieren durch die intensive Nutzung der Wiesen ihre Nahrungsquelle und ihren Lebensraum.
Bei Going Artenreich hat man sich bewusst für einen anderen Weg entschieden. Gedüngt wird schon seit vielen Jahren fast nicht mehr. Maximal zwei Mal im Jahr wird gemäht. So können Wiesenblumen und -kräuter Samen ausbilden und sich wieder auf natürliche Art und Weise vermehren. Hier kann man selten gewordene Blumen wie die Wiesen–Schwertlilie und die Kuckucks-Lichtnelke bestaunen.
Aber es zählt nicht nur wie oft gemäht wird, sondern auch das wie. Durch die Verwendung eines eigens angeschafften Balkenmähers gehen nur 20 % des Insektenbestandes verloren, bei der herkömmlichen Methode kommt es zu Verlusten von bis zu 80 %.
Maria Schmidt und Harald Stoiber haben auf 1,8 Hektar ein wahres Paradies der Artenvielfalt geschaffen. Über 1000 Heckenpflanzen haben sie gepflanzt, die Vögeln Nistplätze und ein ganzjähriges Nahrungsangebot bieten. Die aufgeschichtete Trockensteinmauer erfreut vor allem die Eidechsen und verschiedene Käferarten. Am angelegten Naturteich Quaken im Frühjahr Erdkröten und Grasfrösche um die Wette.
Das alte Bauernhaus wird seit kurzem an Gäste vermietet. „Uns ist wichtig, dass die Nachhaltigkeit in allen Bereichen unseres Tuns Einzug findet. Deshalb haben wir uns auch dem Klimabündnis-Netzwerk angeschlossen,“ erklärt Maria Schmidt. Die Einrichtungsgegenstände sind Tiroler Originale und schon mehrere Jahrzehnte alt. Die Textilien und das Bettzeug sind vegan und biologisch zertifiziert. Ein gratis Shuttlebus holt Gäste, die mit dem Zug anreisen vom Bahnhof ab. So kann der Autoverkehr vor Ort reduziert werden.
Die blühenden Wiesen vom Naturschutzhof können auch Gäste bestaunen, die nicht dort übernachten. In Zusammenarbeit mit dem Tourismusverband Wilder Kaiser werden wöchentlich Hofführungen angeboten, die für alle Interessierten zugänglich sind und das Bewusstsein für Biodiversität stärken sollen.
„Jeder und jede kann etwas für die Artenvielfalt tun,“ ist Maria Schmidt überzeugt. „Im Garten kann man das ein oder andere Eck vielleicht gar nicht oder seltener mähen, schädliche Chemikalien wie Unkrautvernichtungsmittel sollten ohnehin Tabu sein. Auch im Balkonkisterl kann man eine Blühmischung säen oder Lavendel anbauen.“ Dann klappt‘s auch wieder mit den flatternden, summenden und brummenden Nachbarn.